Gastartikel von Unternehmensberater Johannes Maib: Wirtschaftskriminalität vor Gericht
Nach Räubern und Brandstiftern durfte ich endlich mal eine Wirtschaftsstrafsache als Schöffe miterleben. Es war wie im Kino. George Clooney ist Anwalt Miles Massey. Er ist der beste. Er hat noch nie einen Fall verloren. Zu ihm kommt Rex, ein schmieriger Kleinunternehmer. Ihn hat ein Detektiv im Hotelzimmer mit einer anderen Frau erwischt. Seine Frau will die Scheidung. Ehevertrag? Fehlanzeige. Beweise? Alles auf Video. „Was für einen Vergleich streben Sie an? Eine Vermögensteilung 50:50?“, will er wissen. „Nichts! Das kann ich mir nicht leisten,“ antwortet Rex. „Gar nichts? “, fragt Clooney ungläubig nach. „Nun ja, ist das vielleicht möglich?“, hofft Rex.
George Clooney lehnt sich zurück und holt tief Luft: „Es ist eine Herausforderung...“ Und man sieht schon, wie es in seinem Anwaltskopf beginnt, zu arbeiten.
Ein klarer Fall von Untreue. Editürk ist Geschäftsführer der Deutschen Vertriebsgesellschaft einer türkischen Firma für Lebensmittelverpackungen. Er hat Alleinvertretungsvollmacht, ist vom Selbstkontrahierungsverbot des §181 befreit, und er überweist Firmengelder auf sein eigenes, privates Konto. Dabei geht er fantasievoll vor: Der Buchhaltung gibt er mal eine Kundenreklamation an, ein anderes Mal kauft die Firma Folien, die gar nicht geliefert werden, bezahlt allerdings schon – auf das Konto von Editürk. Das geht so über Jahre. Zwei Häuser, ein Ferrari, ein AMG Mercedes, eine Harley-Davidson, ein Reitpferd und der örtliche Sportverein wollen finanziert sein.
Nach einer internen Revision im Rahmen einer „Due Dilligence“ – die Firma soll an einen Investor verkauft werden – fliegt die ganze Sache auf. Alle Kontobewegungen konnten nachträglich sauber nachverfolgt werden. Der Schaden für die Firma: weit über 3 Mio. Euro. Ein klarer Fall, bei dem das Strafrecht eine langjährige Haftstrafe vorsieht. Aber Editürk kann sich eine Haftstrafe nicht leisten. Er ist inzwischen Gesellschafter und Geschäftsführer einer Firma für Lebensmittelverpackungen und die wäre bedroht, wenn er eine Haftstrafe bekäme. Eine Bewährungsstrafe wäre das höchste, was er akzeptieren könnte.
Eine Herausforderung für seinen Anwalt – nicht George Clooney, sondern Anwalt Polter. Anwalt Polter ist ein Star seiner Zunft, bekannt dafür, jeden Verfahrenstrick zu beherrschen und auch schon mal das Gericht mit kalkulierten Wutausbrüchen in Verlegenheit zu bringen. An diesem Verhandlungstag ist er dagegen die Freundlichkeit in Person. Er ruft eine eigene Zeugin auf. In Amerika ist das normal, vor deutschen Gerichten ist es eigentlich die Aufgabe des Gerichts, die Zeugen zu benennen. Die Buchhalterin soll bestätigen, dass seine Überweisungen ganz offiziell von der Muttergesellschaft genehmigt und normal gebucht worden sind.
Ihre Aussage geht allerdings in eine unerwartete Richtung. Sie erinnert sich, wie ihr die Zahlungsanweisungen des Geschäftsführers komisch vorkamen und sie ihn um Klärung gebeten hatte. Editürk zeigte ihr daraufhin eine E-Mail der Muttergesellschaft, die angeblich die Buchungen genauso verlangte. Die Mail war nur leider auf Türkisch und sie kann kein Türkisch. Um die fraglichen Buchungen nicht machen zu müssen, zeigte sie Editürk, wie er selbst im SAP-System eine Buchung vornehmen konnte. Danach wusste Editürk, wie er, ohne die Buchhaltung zu behelligen, selbst seine Überweisungen veranlassen und auch gleich so buchen konnte, dass sie nicht auffallen. Allerdings ist das System unbestechlich. Jede Buchung ist akkurat dokumentiert. Auf seinem beschlagnahmten Laptop war sogar die besagte Mail gefunden worden. „Haben Sie diese Mail selbst geschrieben?“, wollte der Vorsitzende Richter wissen. „Ja“, bestätigte kleinlaut sein Anwalt. Eigentor.
Eine schwierige Situation. Wie kommt er da wieder raus? Anwalt Polter kündigt eine Aussage seines Mandanten an, der bisher zu allen Anklagen geschwiegen hat. Er bittet zur Vorbereitung der Aussage um eine Vertagung. Endlich ein Geständnis? Es wäre nicht George Clooney und nicht Anwalt Polter, hätte er nicht noch ein Ass im Ärmel.
Am nächsten Verhandlungstag steigt die Spannung. Den großen Auftritt hat Anwalt Polter wie ein Theaterstück vorbereitet. Die Bühne ist bereit, Editürk liest den von Polter vorbereiteten Text Wort für Wort vom Blatt: Es gibt gar keine Untreue von ihm gegenüber der deutschen Vertriebsfirma. Alle Zahlungen der Firma auf seine Konten habe er auf Betreiben und im Einverständnis mit dem Chef der Muttergesellschaft vorgenommen. Das sei vielleicht steuerlich nicht ganz korrekt gewesen, aber das sei hier ja nicht angeklagt. Und dass er diese „schwarze Kasse“ für Privatzwecke genutzt hat, das sei allenfalls eine Untreue gegenüber seinem Chef in der Türkei gewesen. Und auch diese sei hier nicht Gegenstand der Anklage.
Bingo. Im Sinne der Anklage also NICHT SCHULDIG. Wie soll man ihm das Gegenteil beweisen? Der einzige Zeuge ist der Chef in der Türkei. Wird er nach Deutschland kommen, um sich mit seiner Aussage als Mittäter und Anstifter selbst zu belasten? Unwahrscheinlich. Gleichzeitig ist die Rechtshilfe zwischen türkischen und deutschen Gerichten schwierig, schleppend unkalkulierbar. Sehr clever, Herr Anwalt!
Und in meiner nächsten Mail erzähle ich, wie es weiter ging mit George Clooney, Anwalt Polter, dem untreuen Editürk und der Gerechtigkeit vor einem deutschen Gericht...
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Dieser Artikel wurde in den Freelance-Market-News 03/2021 veröffentlicht.