Gastartikel von Unternehmensberater Johannes Maib: Willkommen im postfaktischen Zeitalter
Willkommen im postfaktischen Zeitalter! Die Krönung dieser Entwicklung ist die bis vor kurzem unvorstellbare Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Er ignoriert jeden politischen Konsens, verdreht und erfindet seine eigenen Fakten, die Wahrheit ist ihm und seinen Anhängern völlig egal.
Selbstkritisch fragt sich die New York Times, ob wir nicht die Macht von Fakten überschätzt und die Wirkung der gefühlten Wahrheit unterschätzt haben. Der tägliche Faktencheck der New York Times hatte keine Wirkung. Es ist die intellektuelle Attitüde der Trump-Verächter, sie fühlen sich trotzig im Recht. Und damit wir wissen, wie Recht sie haben, wird die komplette Prominenz des philosophisch-intellektuellen Denkens aufgefahren. Von Schopenhauer bis Einstein und Hannah Arend wird zitiert, was die philosophische Bildung hergibt. Die Welt existiert nur in der eigenen Vorstellung, Raum, Zeit, Kausalität, alles ist relativ - für die Massen spielen Tatsachen keine Rolle. Mit solchen Schlagworten steht man locker in jedem Smalltalk als Intellektueller da. Trump ist also postfaktisch und wir haben die Fakten und die Wahrheit auf unserer Seite.
Oder sind wir nur ignorant? Können oder wollen wir uns der postfaktischen Politik wirklich entziehen? Wir sind gegen TTIP. Wir wollen keine Chlorhühnchen essen, nicht mit Genmais überschwemmt werden, das öffentlich-rechtliche Fernsehen behalten, Umweltstandards und Arbeitnehmerrechte verteidigen gegen das böse TTIP. Auch die Arm-Reich-Schere fühlt sich einfach zu wahr an, als dass sie falsch sein könnte. Dabei sind wir längst im postfaktischen Zeitalter angekommen. Nur die "Eliten" wollen es noch nicht wahrhaben. Sie klammern sich an den "Faktencheck". Wenn Plasberg in seiner Sendung nach 14 Tagen feststellt, wer wie welche vermeintlichen Fakten verdreht hat, hat die gefühlte Wahrheit längst Fakten geschaffen und ATTAC-Aktivisten ziehen marodierend durch das Frankfurter Bankenviertel.
Unwillentlich verpasst unsere ausgewogene Berichterstattung diesem Treiben noch einen Treibsatz. Sie gibt den Lügen ebenso viel Raum wie den Fakten. Mehr noch, sie versucht, die Lügen zu widerlegen und muss sich gleichzeitig gegen den Vorwurf verwehren, nur Miesmacher, oder anders herum, alles zu positiv darzustellen – je nach Standpunkt.
Gibt es denn gar kein Mittel gegen die Lügen, gegen das postfaktische Zuschneiden der gefühlten Wahrheit, so wie es gerade passt? Oh doch, es gibt ein Gegenmittel, ein Gegengift. Und es wirkt. Gerade in Deutschland können wir die Wirkung spüren. Immerhin hatte Hillary hier über 85% Zustimmung, Donald Trump unter 15%. Es geht um die Vernichtung der Person, egal wie gut oder verlogen die Argumente sind. Beispiele? Cohn-Bendit, potentieller Kinderschänder! Steinbrück, Wulff, Özdemir, Gysi, sie alle korrupte Redenmillionäre und Bonusmeilensammler. Andere beliebte Instrumente im Werkzeugkasten der politischen Diffamierung sind die Nazikeule, der Klimaleugner, Stasispitzel oder Lobbyist.
Aber hilft das jetzt noch gegen Donald Trump? Die Washington Post beobachtete: Viele Trump-Unterstützer glauben seine wildesten Versprechen nicht – und es stört sie nicht. "Truthiness" nennt Steven Colbert in "The Late Show" vom 18.07.2016 die gefühlte Wahrheit: "Truthiness is believing something feels true even if it isn't supported by fact".
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Dieser Artikel wurde in den Freelance-Market-News 12/2016 veröffentlicht.