Gastartikel von Unternehmensberater Johannes Maib: Brexit - tut das weh?
Mit England verlöre die EU den drittgrößten Nettozahler. Na ja, mit knapp 4,9 Mrd. Euro zahlen die Briten nicht einmal ein Drittel des Nettobeitrags der Deutschen.
Aber irgendwie sind uns die Briten doch ans Herz gewachsen. Was haben sie uns nicht alles gebracht, die Engländer?! Ihr Humor würde uns fehlen. Englische Autos? Sind von BMW. Englisches Essen? Das essen nicht mal die Engländer. Ihr Investment Banking? Die Deutsche Bank wäre froh, es niemals angefasst zu haben.
Umgekehrt haben die Engländer bessere Gründe für ihre Skepsis gegenüber der EU:
- Die Wirtschaft der EU lahmt
- Der Euro kommt nicht aus der Krise
- Die Sparpolitik im Euroraum bringt Arbeitslosigkeit für die einen und Hass auf die anderen
- Die offenen Grenzen sind angesichts der Flüchtlingsproblematik nicht mehr haltbar
- Osteuropäer missbrauchen die Freizügigkeit von Arbeitnehmern, um Sozialleistungen zu erhalten
- Eine ausufernde EU-Bürokratie mischt sich in alle Belange des britischen Alltags ein
Und schließlich lebt der Brite nicht auf einer Insel, um sich seine Souveränität und die Letztentscheidung des Parlaments vom Europäischen Gerichtshof einschränken zu lassen. Das stolze Schlachtschiff England kappt die Taue von den sinkenden Booten der EU. So sehen es viele im Vereinigten Königreich. Am 23. Juni, fünf Tage nach dem Waterloo-Tag, dem Sieg der Briten über Napoleon, ist es soweit und das britische Volk entscheidet.
Aber kann uns das wirklich so kühl lassen? Mit dem Brexit würde die EU auf einen Schlag 13% ihrer Einwohner und 17% ihrer Wirtschaftsleistung verlieren. Der Brexit würde eine ohnehin schwer angeschlagene EU treffen. Ein Zerbrechen des Euros ist nur mühsam mit unendlich viel Geld verhindert worden und nichts hat sich in Griechenland verbessert. Die Einladung an die Flüchtlinge hat Frau Merkel vielleicht näher an den Nobelpreis, aber die Illusion einer Freizügigkeit im Inneren und sicherer Außengrenzen endgültig zum Einsturz gebracht. Gerade hat sich die EU als einflussreicher Faktor in die Weltpolitik eingemischt: Keine Waffen in die Ukraine, Sanktionen gegen Russland, Atomabkommen mit dem Iran, Waffenstillstand in Syrien… . Dieses Gewicht würde Europa mit dem Ausscheiden Großbritanniens, der größten Militärmacht der EU, verlieren. Kein Wunder, dass Putin einen Brexit begrüßt. Ohne die Briten wird die EU noch mehr von einem deutschen Übergewicht dominiert, sie wäre weniger liberal, mehr protektionistisch und stärker mit sich selbst beschäftigt – wie der britische "Economist" feststellt.
Egal ob jetzt die Briten aussteigen oder nochmal mit immer weiteren Zugeständnissen in der EU gehalten werden. Der Schaden für die EU ist bereits heute groß. Allein die Unsicherheit ist Gift für Investitionen. Der britische Aktienindex FTSE hat seit dem vergangenen Jahr 15% verloren, der EURO STOXX 20% und das Pfund 10% gegenüber dem US Dollar. Und welches andere Land wird sich in Zukunft noch Sonderregeln verwehren lassen, die den Briten zugestanden worden sind?
Eine gewisse Hoffnung setze ich noch auf die Einsicht der britischen Politiker: Wer soll nach einem Brexit noch schuld sein an all den Problemen im Land? Die EU mit ihrer Bürokratie fällt dann ja aus. Vielleicht nimmt es die EU auch zum Anlass einer realistischen Bestandsaufnahme. Und es wird höchste Zeit, die Illusion der Vereinigten Staaten von Europa zu Gunsten einer handlungsfähigen Gemeinschaft endlich über Bord zu werfen. Dann hätte der Brexit ja vielleicht doch noch sein Gutes.
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Dieser Artikel wurde in den Freelance-Market-News 04/2016 veröffentlicht.