Gastartikel von Unternehmensberater Johannes Maib: Armutsschere
Der Arbeitnehmer als Kostenfaktor und Befehlsempfänger ist längst auch ein überholtes Bild der frühen Industriegesellschaft. Ein Großteil der Innovationen kommt heute von den Mitarbeitern, die mitdenken und sich engagieren. Auch bei VW werden dafür jedes Jahr Millionensummen an Prämien bezahlt. Gute Unternehmen fördern dieses Engagement, schlechte behandeln ihre Mitarbeiter eben nur als Produktions- und Kostenfaktor.
Arbeitnehmer werden durch ihr Engagement ein Stückchen zum Mitunternehmer. Und je mehr Führungsverantwortung sie dabei übernehmen, desto mehr ist der Erfolg des Unternehmens auch ihr Erfolg – und ihr Risiko. Die Verweildauer von Managern schon in mittleren Positionen wird immer kürzer und das höhere Gehalt ist eben auch zum Teil Risikoprämie. Es gibt krasse Auswüchse wie die Boni im Investmentbanking.
Ist es nicht dennoch ungerecht, dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden? Diese Klage hört sich so vertraut und so wahr an, aber ist es wirklich so? Nach dem italienischen Corrado Gini ist ein Maß zur Berechnung der Ungleichverteilung benannt. Es bewegt sich zwischen Null (alle haben gleichviel) und Eins (einer hat alles). Dieses Maß der Ungleichverteilung der Einkommen hat sich in Deutschland seit vielen Jahren fast nicht geändert, es bewegt sich um einen Wert von 0,27. Hier belegt Deutschland einen Spitzenplatz der OECD-Länder.
Nun ist Gini nicht gleich Gini. Hier sind die Einkommen nach Umverteilung durch Steuern und Transferleistungen maßgebend. Denn es sind nicht die Bruttoeinkommen, die uns reich machen, sondern das was uns das Finanzamt und der Umverteilungsstaat übrig lässt. Umgekehrt ist niemand arm, weil sein Einkommen aus staatlichen und anderen leistungslosen Transfers besteht. In den USA liegt der Gini-Wert bei 0,45, das heißt, eine weit ungleichere Verteilung als in Deutschland. Das liegt vor allem an der geringeren Korrektur der Ungleichheit durch staatliche Umverteilung. Von steigender Ungleichverteilung kann also keine Rede sein. Deutschland ist Umverteilungsweltmeister und trotzdem wird in der Öffentlichkeit der Eindruck einer steigenden Ungleichheit und Ungerechtigkeit erweckt.
Korrekte Zahlen sind allerdings nicht leicht zu finden. Einfacher zu finden sind dagegen die Behauptungen der Einkommensschere. Sie basiert auf konstruierten Veränderungsmaßen, die erste und zweite Ableitung kleinster statistischer Abweichungen ("das Wachstum der Ungleichheitsabnahme hat zugenommen…"). Oder es werden unterschiedliche Maße verglichen: zum Beispiel die Gewinne der Unternehmen und Einkommen der Privathaushalte.
Da ist sie, die Schere! Aber was für eine? Eine nach dem Motto, wie man mit Statistik lügen kann. Ein willkürlich gewählter Ursprung, ein relativer 100er Index und zwei Größen, die zur Ungleichheit oder Ungerechtigkeit nichts aussagen, denn auch Arbeitnehmer besitzen Aktien.
Wenn man die Lüge nur oft genug wiederholt dann wird sie wahr. 2009 veröffentlichte das gewerkschaftsfinanzierte IMK Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung die Erkenntnis auf der Basis eben dieses Gini-Koeffizienten, dass die Einkommensungleichheit und Armut stärker zugenommen hätten als in jedem anderen OECD Land. Das diente der Forderung nach größerer Macht für die Gewerkschaften, nach höheren Lohnzuwächsen und dem Mindestlohn. Der Mindestlohn ist mittlerweile durchgesetzt. Für die Gewerkschaft VERDI und den linken "Wirtschaftsweisen" Bofinger liefert die Schere aktuell die "wissenschaftliche" Begründung, warum jetzt unbedingt höhere Löhne, die deutlich über der Produktivitäts- und Preissteigerung liegen, gefordert werden müssen.
Aber die Vermögen – die sind doch in Deutschland total ungleich verteilt. Oder etwa nicht? "Anhaltend hohe Vermögensungleichheit in Deutschland" textete die aktuell von der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung durchgeführte Studie zur Vermögens-Ungleich-Verteilung. Ganz hinten im Kleingedruckten ist allerdings zu lesen, dass sich von 2002 bis 2012 keine signifikanten Veränderungen feststellen ließen. Im Gegenteil, im Osten ging die Ungleichheit sogar zurück. Und wer die Studie aufmerksam liest, stellt fest, dass die Selbstständigen zwar als die Berufsgruppe mit dem höchsten Privatvermögen gezählt wird, die Rentenanwartschaften der Arbeitnehmer aber überhaupt nicht berücksichtigt sind. Statistische Lügen und journalistische Denkfaulheit liegen sich hier einträchtig in den Armen.
Umverteilung und Gleichmacherei ersticken irgendwann die Leistungsbereitschaft. Die ehemalige DDR dürfte einen Gini-Traumwert erreicht haben. Zuverlässige Statistiken darüber gab es nicht, ebenso wenig wie für Nord-Korea oder für Kuba. Seit es in Kuba allerdings erste vorsichtige Öffnungen in Richtung einer Privatwirtschaft und Verringerung der verordneten Armut gibt hat sich der Gini-Koeffizient von geschätzten 0,22 vor zehn Jahren auf über 0,40 gesteigert.
Ungleichheit ist die notwendige Folge von persönlicher und wirtschaftlicher Freiheit. Und ich bewundere neidlos die schönen Autos auf der Königsallee. Ihre Käufer sichern die eine Industrie, die sich eben nicht nur an Effizienz und der Klimarettung orientiert, sondern an Schönheit, Eleganz und einer herrlichen Unvernunft.
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Dieser Artikel wurde in den Freelance-Market-News 07/2015 veröffentlicht.