Gastartikel von Unternehmensberater Johannes Maib: Künstliche Intelligenz und digitale Innovation
Professor Schmidhuber, Popstar der Erforschung künstlicher Intelligenz, fragte die 1.400 Zuhörer beim Auftaktvortrag des McKinsey-Alumni-Meetings kürzlich in Berlin, wer von uns schon etwas von „LSTM“ gehört habe. Wenige Hände gingen in die Höhe. Dabei geht es lediglich um die Abkürzung von „long short-term memory“. Eigentlich eine recht simple Idee und gleichzeitig ein Konzept, nach dem Maschinen, sprich Computer, lernen, Texte zu lesen, Gesichter zu erkennen oder Poker zu spielen und dabei immer besser werden.
Gestern war ich mal wieder auf der Autobahn von Köln nach Ludwigsburg unterwegs. Wie schon so oft. Ich erinnere mich nicht an eines der vielen Autos, die ich überholte oder hinter denen ich herbummeln musste, geschweige denn an deren Kennzeichen. Computer dagegen „sehen“ die Form, Farbe, Geschwindigkeit und viele andere Merkmale. Sie speichern alles und können nicht zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden. Und wenn sie ein anderes Auto sehen, von dem ihnen niemand gesagt hat, das sei nun auch wieder ein Auto, dann speichern sie es ab als wäre es ein UFO.
Lernende Maschinen sind anders. Sie merken sich nicht jedes Auto – das würde selbst die immense Speicherkraft der Supercomputer überfordern. Sie nehmen nach und nach Merkmale wahr und versuchen eine Regel daraus abzuleiten, was alles ein „Auto“ ist.
Ein Kind muss nur drei oder vier Autos gesehen haben, und es weiß, was ein Auto ist. Es wird das nächste erkennen, auch wenn es das spezielle noch nie gesehen hat. Der lernende Computer ist dagegen strohdumm. Er braucht tausende von Beispielen, bis er eine Regel abgeleitet hat, die halbwegs in der Lage ist, ein Bild von einem Auto von einem realen Auto zu unterscheiden. Aber der Computer ist fleißig. Mit der Idee des LSTM kann er die vielen Autos vergessen, aber jedes einzelne trägt dazu bei, seine Regeln zu verbessern.
Dieses im Grunde simple Konzept verändert schon heute die Art wie ein Smartphone meine Handschrift erkennt, oder Google weiß, was ich als nächstes kaufen möchte – und dabei ständig besser wird. Überall wo sich Muster erkennen lassen, wo die Maschine viele Wiederholungen hat, wo sie durch Versuch und Irrtum die eigenen Regeln erproben und verbessern kann, da wird die Maschine uns irgendwann überlegen sein.
Ob die Maschinen auch Spaß am Autofahren haben könnten? NR-AM 337 H, das war das Kennzeichen eines BMWs aus den 70er Jahren, den ich respektvoll langsam überholte. Ein CSi-Modell mit damals sagenhaften 200 PS, großen Panorama-Scheiben, breiten Reifen und einer eleganten, windschnittigen Karosserie. Mit seinem hochgezüchteten Motor sollte man ihn heute wohl eher vorsichtig fahren. Aber kaum war die Geschwindigkeitsbeschränkung vorüber, hörte ich ein lautes Motorgeheul und sah den alten BMW im Rückspiegel. Auf einer Strecke von fast 100 Kilometern schaffte ich es nur mit Mühe, an dieser Autolegende dranzubleiben. Mit über 220 km/h raste der Fahrer über die Autobahn, füllte die Luft mit dem Gesang seines 6-Zylinder-Motors und dem mittlerweile seltenen Duft von katalysatorfreiem Benzin, der selbst durch die Feinstaubfilter des Mercedes drang. Einer LSTM-Maschine wären da schon längst die Elektronen verschmort.
Und was ist die Zukunftsvision von McKinsey? Der selbstlernende Beratungsroboter ist jedenfalls nicht dabei. Aber auch vom klassischen Top-Management-Consulting ist nur noch knapp die Hälfte geblieben. Die Wachstumsfelder sind die Digitalisierung in allen Elementen des Unternehmens, ach was sag ich, des Lebens! Und während die möglichen Koalitionsparteien noch streiten, wann das Benzinauto oder die Braunkohle endgültig Geschichte sein sollen, rast der Zug der digitalen Innovation längst an uns vorbei.
Vielleicht sollte ich mich mal nach einem Elektroauto umsehen. Aber sicher nicht nach einem selbstfahrenden und selbstlernenden.
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Dieser Artikel wurde in den Freelance-Market-News 12/2017 veröffentlicht.